Lithosphärische Deformation und Funktionsweise von Verwerfungen

Dieser Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit der Quantifizierung der lithosphärischen Deformation auf sämtlichen räumlichen und zeitlichen Ebenen und insbesondere mit der tektonischen Deformation im Zusammenhang mit dem seismischen Zyklus. Die Instrumente und Methoden umfassen sämtliche geodätischen satelliten- und bodengestützten Messtechniken (InSAR, GPS, LiDAR, Theodolit, Gravimetrie...), wobei auf die Weltraumbilderfassung zurückgegriffen wird (Landsat, SPOT, Ikonos, Quickbird...) und Datierungstechniken genutzt werden (14C, kosmogene Nuklide, OSL...) zur Interpretation der Morphologien des Quartärs. Ferner zählt auch die mechanische Modellierung der Deformation zu den angewandten Instrumenten und Methoden. Die wesentlichen Untersuchungsstätten befinden sich im Mittelmeerraum, in Afar, im Tibet und im Rheingraben.

Funktionsweise von Verwerfungen und der seismische Zyklus

Das Verständnis darüber, wie Verwerfungen funktionieren, das es uns letztlich ermöglicht, die seismische Gefährdung und das seismische Risiko einzuschätzen, beruht zum Teil auf der Bestimmung der Wiederholungszeit und der räumlichen Ausdehnung der seismischen Brüche und setzt somit gute Kenntnis des lokalen und regionalen Deformationsfeldes voraus. Die Modelle des seismischen Zyklus basieren derzeit auf sehr wenigen gut dokumentierten Fällen sowohl für Verwerfungen mit geringer Rutschungsrate als auch für die meisten größeren Verwerfungen, die sich zum Beispiel im Erdbeben von Japan vom 11. März 2001 (Mw 9.0) geäußert haben, dessen wahrscheinlich tausendjährige Wiederholungsrate nicht ausreicht, um die Konvergenz von 8-9 cm/Jahr entlang der Rinne zu kompensieren. Ein wichtiger Teil unserer Bemühungen besteht in dem Sammeln und der Analyse von interdisziplinären Daten, die den seismischen Zyklus dokumentieren.

Unsere Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit bekannten Verwerfungen mit Blattverschiebungen, Abschiebungen oder Aufschiebungen. Unsere Arbeit besteht darin, die Geschwindigkeit der Rutschung durch Geodäsie, die Wiederholungszeit und die Parameter der koseismischen Rutschungen durch Paläoseismologie und die räumliche Ausdehnung der ehemaligen Brüche durch Geomorphologie zu bestimmen. Um mögliche Variationen der Rutschungsgeschwindigkeit dieser Verwerfungen berücksichtigen zu können, muss die Geschwindigkeit über lange Zeiträume mit zeitlich möglichst engschrittigen Messungen mehrfach bestimmt werden. Unsere bevorzugten Untersuchungsstätten sind die größeren Verwerfungen an kontinentalen Plattengrenzen in den Mittelmeerregionen (nordanatolische Verwerfung, ostanatolische Verwerfung, Totes-Meer-Verwerfung und das aktive nordafrikanische Verwerfungssystem).

Der gegenüberstellende Vergleich der langfristigen und kurzfristigen Geschwindigkeiten schließt zudem die Untersuchung der verschiedenen im gesamten seismischen Zyklus stattfindenden physikalischen Mechanismen ein, insbesondere das Auftreten von Übergangsbewegungen, vor allem während der Zeit vor und nach einem Erdbeben. Daher ist die Entwicklung einer geeigneten Methode erforderlich, um diese Übergangsbewegungen mit geringer Amplitude berücksichtigen zu können.

Beschreibung der verteilten Deformation

Wir möchten Deformationsfelder, die entweder mit langsamen Bewegungen oder mit einer Anpassung der Deformation durch komplexe und/oder schlecht identifizierte tektonische Strukturen in Verbindung stehen, untersuchen. Mit Blick auf Untersuchungsstätten wie den Rheingraben, Afar, den südlichen Teil des tibetischen Hochlands, das Atlasgebirge in Nordafrika und den Tripelpunkt Afrika/Arabien/Anatolien geht es darum, die Verteilung der Deformation ausgehend von den durch Seismizität gegebenen Informationen und die Methoden zur Quantifizierung der aktuellen Bewegungen an der Oberfläche (InSAR, GPS) und der Bewegungen in der Vergangenheit zu beschreiben.

Das Beispiel des Rheingrabens, das in vielen Punkten dem Fall der Region von New Madrid ähnelt, ermöglicht es uns, den Zusammenhang zwischen Tektonik, der aktuell durch Geodäsie beobachteten Deformation und der Ursache für Seismizität besser zu verstehen (Lokalisierung, Magnitude, Wiederholungsrate). Die Studien stützen sich auf Daten der geodätischen und seismologischen Observatorien des Rheingrabens, die von der EOST betrieben werden. Dieselbe Problematik besteht in Bezug auf den Tripelpunkt Afrika/Arabien/Anatolien, wo die Verwerfungen der Levante und jene in Ostanatolien in einer komplexen verteilten Deformationszone konvergieren.

Art und Rhythmus der kontinentalen Extension

Uns interessieren hier die mechanischen Prozesse, die bei der kontinentalen Extension ablaufen, von der Bildung neuer Kontinentalränder bis zur Entstehung von Seebecken. Dabei werden zwei Untersuchungsstätten vorrangig betrachtet: die tertiäre und quatäre intrakontinentale Riftzone des Rheingrabens und die aktiven Segmente des Afar-Dreiecks. Wir arbeiten mit dem Team Dynamique de la Lithosphère zusammen und stützen unsere Studien auf geodätische (GPS, InSAR) und gravimetrische Messungen, die unter Einbeziehung der aus seismologischen Experimenten gewonnenen Erkenntnisse über die lithosphärische Struktur für die Bestimmung der Dynamik an divergierenden Plattengrenzen von großer Bedeutung sind. Hierfür wird die segmentierte Struktur der Rifts untersucht, insbesondere durch die Erforschung der raum-zeitlichen Entwicklung der tektonischen Deformation mit Extension, der Aktivität der vulkanischen Zentren und ihrer möglichen Interaktionen. Angesichts der Aseismizität und des Übergangscharakters der Bewegungen in diesen Regionen stützen sich unsere Studien entweder auf dauerhafte oder regelmäßig wiederholte Messungen und vor allem auf Messungen auf engem Raum.