Erdbebenquelle

Die Forschung zur Erdbebenquelle weist sehr unterschiedliche Facetten auf, die vom Bruchprozess bis zu den gesellschaftlichen Auswirkungen reichen, wie die Quantifizierung der seismischen Gefährdung, die Untersuchung des seismischen Zyklus oder auch die geodynamischen Prozesse, die sich vorwiegend in Erdbeben ausdrücken. Dies kommt eindeutig in der Diversität der von den Forschern des Seismologieteams behandelten Themen und in ihren Interaktionen mit den Kollegen anderer Teams der UMR zum Ausdruck. Vor dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts lag der Fokus ganz klar auf den Skalengesetzen und der Ähnlichkeit der Erdbebenquellen. In jüngster Zeit hat sich dies geändert, was zu einem vielschichtigeren Panorama geführt hat, insbesondere mit bis vor Kurzem noch unbekannten Phänomenen, wie aseismische episodische Rutschungen oder Spektren an der Quelle, die nicht den Skalengesetzen entsprechen. Ein Arsenal an immer besseren Instrumenten und Werkzeugen hat zur Erarbeitung dieser neuen Sichtweise beigetragen: Seismometrie mit sehr großer Bandbreite und großer Dynamik, permanentes GPS, leichte Seismizität, Mechanismen im Hypozentrum, experimentelle Physik, hochperformante numerische Modellierung etc.. Zudem hat das Auftreten mehrerer großer Erdbeben in den letzten Jahren (Sumatra 2004, Nias 2005, Maule 2010, Tohoku 2011) nach einigen Jahrzehnten mit wenigen großen Erdbeben neue Fragen aufgeworfen und zwingt uns, bestimmte „Gewissheiten“ erneut zu untersuchen. Dies bildet den Rahmen für unser Forschungsprojekt in diesem Themenbereich für die kommenden Jahre.

Aus methodischer Sicht werden wir weiterhin untersuchen, welchen Beitrag die sehr langperiodischen Signale (W Phase, Eigenmodi etc.) zur Erforschung der Ursache von großen Erdbeben leisten können (L. Rivera, S. Lambotte). Die Modelle mit endlicher Quelle, die derzeit von verschiedenen Teams in den ersten Stunden nach einem großen Erdbeben veröffentlicht werden, variieren leider sehr stark. Diese Informationen sind jedoch die entscheidenden Eingangsparameter für jegliche spätere Anwendung (bspw. Modellierung der Tsunami-Anregung, „shake map“ etc.). Die W Phase scheint dafür geeignet zu sein, schnell ein zuverlässiges Ergebnis zu liefern, und zwar dank der wesentlichen Vorteile des zugrundeliegenden Algorithmus: Nutzung von sehr langperiodischen Signalen und hohe Gruppengeschwindigkeit. Allgemein möchten wir zu einer Strategie gelangen, bei der die gesammelten langperiodischen Informationen als Randbedingungen für Inversionen mit kürzerer Periode genutzt werden.

Ein anderer Gesichtspunkt unseres Projekts, nämlich die analoge Modellierung im Labor (J. Schmittbuhl) umfasst 4 Teilbereiche: a) die quantitative Morphologie der Bruchflächen, der Zusammenhang zwischen der Heterogenität des lokalen Spannungsfeldes und dem Prozess der dynamischen Dissipation; b) das unterkritische Risswachstum im heterogenen Milieu (Kriechen), der Zusammenhang zwischen Schallemissionen und langsamer Deformation, sowie die Auswirkungen für die Dynamik von langsamen Ereignissen; c) akustische Bildgebung der Nukleation im Rahmen eines Experiments zur dynamischen Scherung und der Auswahlprozess der Bruchgeschwindigkeit (sub/supershear); d) das seismologische Verhalten von Tonsteinen: Einfluss der Sättigung des Mediums, Tomographie des stark verformbaren Mediums (aktive Methode, Geräuschkorrelation), Schallemissionen unter Scherung, Anwendung auf die Überwachung von langsamen Erdrutschungen (Super-Sauze).

Mehrere geographische Untersuchungsorte werden weiterhin betrieben und durch die Mitglieder der Arbeitsgruppe weiterentwickelt: Golf von Korinth (S. Lambotte): genaue Untersuchung der Mikroseismizität und ihrer Raum-Zeit-Struktur; Erdbeben von Tohoku (L. Rivera): Verwendung von permanentem GPS, um das Modell der Quelle einzugrenzen,und Einbringung der sehr langperiodischen seismologischen und geodätischen Daten; Cinarcik-Becken, Türkei (J. Schmittbuhl): physikalische Ursache für die Anhäufung von Seismizität, mikroseismische Wechselwirkungen/größere Ereignisse, Prozess der Nukleation von großen Ereignissen: Zusammenhang zwischen langsamer Deformation und Mikroseismizität, zwischen tiefen Multipletts und Nukleation.

Die Studien zu den Standorten Soultz-sous-Fôrets und Rittershoffen im Rahmen der Einheit „Geothermie“ umfassen ebenfalls den Aspekt „Quelle+ (J. Schmittbuhl, S. Lambotte, A. Maggi).